Tierhaltung leicht verständlich – Lidl macht es vor
Im April diesen Jahres hat Lidl damit begonnen seine Fleischprodukte leichtverständlich nach Haltungsarten zu kennzeichnen. In dem vierstufigen Modell steht:
1 – für konventionelle Stallhaltung,
2 – für 10% mehr Stallfläche und Beschäftigungsmaterialien,
3 – für noch mehr Platz im Stall und einen Außenklima-Bereich und
4 – für noch mal deutlich mehr Platz und einer Weide an der frischen Luft.
Lidl ist der erste große Lebensmittelhändler, der so einen Haltungs-Kompass eingeführt hat. Finde ich super. Die Erwartungen sind groß, nicht nur von mir, sondern auch von Tier- und Verbraucherschützer. Denn die Hoffnung ist, dass mit der Information, wie das Schlachtvieh gelebt hat, Nachfrage und Angebot von Produkten aus artgerechter(er) Tierhaltung steigen werden. Bei Eiern beispielsweise hat die Haltungs-Kennzeichnung dazu geführt, dass Käfigeier von Kunden und Handel schnell geächtet wurden und praktisch aus den Supermarkt-Regalen verschwanden.
Lidl ist Vorreiter mit Haltungskompass
Ähnliches erhoffen sich viele nun von der Lidl-Initiative. Und zwar aus ganz einfachen Gründen: Wenn der Kunde weiß, wie das Tier gelebt hat, das er isst, wird er wohl nur noch das Produkt in den Einkaufswagen legen, bei dem das Huhn, die Pute, das Schwein oder das Rind vor der Verarbeitung zumindest ein einigermaßen erträgliches Leben geführt hat. Ist doch logisch, oder?
Jetzt mal ein paar Zahlen und Fakten:
- Neun von zehn Verbrauchern wünschen sich eine bessere Haltung für Nutztiere (87 Prozent, laut BMEL Ernährungsreport 2017).
- Fast genauso viele (82 Prozent, laut BMEL Ernährungsreport 2016) wollen Informationen über Haltungsbedingungen auf den Verpackungen.
- Und sogar noch mehr (88 Prozent, laut BMEL Ernährungsreport 2017) sind bereit, für mehr Tierschutz zu zahlen.
- Angeblich achtet bereits fast die Hälfte aller Kunden (47 Prozent, laut BMEL Ernährungsreport 2017) auf Tierwohl-Angaben auf ihren Einkäufen.
Lieber billig statt bio – ist Tierhaltung Kunden nichts wert?
Das heißt doch, die Lidl-Produkte mit der Kennzeichnung 3 und der 4 müssten absolute Verkaufsrenner sein. So, jetzt gibt der Einkaufschef von Lidl, Jan Bock, der Süddeutschen Zeitung im Juni ein Interview, in dem er den „Erfolg“ des Haltungskompasses so beschreibt: „die Moral endet oft am Geldbeutel“. Leute, was ist denn los mit Euch??? Das kann doch nicht wahr sein. Bei all meinen Umfragen zum Thema und in allen Studien sagen die Menschen, sie wollen eine bessere Tierhaltung und es täte ihnen leid, wie die Tiere gehalten werden. Und dann kauft keiner die Produkte aus der besseren Haltung? Ich begreife das nicht.
Tierschutzgesetz reicht für gute Tierhaltung nicht aus
Noch mal zur Klarstellung: Das Tierschutzgesetz regelt, was Tierquälerei ist und was erlaubt ist. Manchmal liegen dazwischen nur ein paar Millimeter. Mit den Mindeststandards des Tierschutzgesetzes ist tiergerechter Haltung nicht möglich. Natürlich müssten alle Tiere unter deutlich bessere Bedingungen leben als es die Mindeststandards vorsehnen
Und eigentlich sind sich auch alle einig darüber, dass die Tierhaltungsstandards angehoben werden müssen. Es gibt ja bereits viele Ansätze.
Bessere Tierhaltung kostet Geld, aber Kunden ziehen nicht mit
Da sind einerseits die Bio-Bauern, die schon seit Jahren eine bessere Haltung ihres Viehs vorleben. Da sind die Produkte mit dem Label der Tierschutzorganisationen „Deutscher Tierschutzbund“ und „Vier Pfoten“ (die leider auch nach Jahren noch nicht den Weg in den Massenmarkt gefunden haben). Da ist die (bei Verbraucherschützern umstrittene) „Initiative Tierwohl“ der Fleischindustrie, die aus einem Fonds Geld an Bauern zahlt, wenn sie die Bedingungen in ihren Ställen verbessern. Und da sind die Pläne für ein staatliches Tierwohl-Siegel des Bundesministeriums für Ernährung und da ist das Gutachten des Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik (WBA) von 2015, das darlegt, dass die derzeitig Nutztierhaltung nicht zukunftsfähig ist und ein radikaler Umbau im Sinne des Tierschutzes nötig ist.
Alle sind mit im Boot: der Staat, die Tierschutzorganisationen, die Fleischindustrie und die Landwirte.
Auch bei der Tierhaltung haben Verbraucher die Macht
Nur wir ziehen jetzt mit. Die Verbraucher. Aber es ist doch klar, dass Tierfreundlichkeit Geld kostet. Unser Geld, das Geld der Kunden. Denn Fleisch ist so billig, weil es genau unter den qualvollen Bedingungen der industriellen Massenproduktion entsteht, die wir alle mit großer Mehrheit ablehnen. Oder glaubt einer wirklich, er könnte ein Huhn für 4 Euro kaufen, das sein Leben freilaufend und pickend unter freiem Himmel verbracht hat?
Wenn die Bauern jetzt 10 Schweine im Stall halten und Summe X bekommen, dann müssen sie bei 8 Schweinen auch Summe X bekommen. Warum sollten sie sonst die Ställe nicht so vollmachen, wie es das Tierschutzgesetz erlaubt? Ist doch logisch, oder? Für die WDR-Servicezeit habe ich mal mit einem Schweinebauern in Neumünster gedreht, der seinen Hof für das „Für mehr Tierschutz“ des Tierschutzbundes hatte zertifizieren lassen. Er musste seine verbesserte Schweinehaltung, die ihm und seinen Tieren so sehr gefiel, wieder aufgeben, weil die Nachfrage zu gering war – und weil er eine Familie zu ernähren hatte.
Für mehr Tierschutz müssen Verbraucher mehr zahlen
Noch im letzten Jahr habe ich in meinem Buch „Achtung Mogelpackung“ geschrieben: „Es gibt Hoffnung! Wir bewegen uns alle gemeinsam in die richtige Richtung. Das ist gut so. Denn natürlich sind die verschiedenen Maßnahmen noch lange nicht ausreichend, damit unser Nutzvieh artgerecht gehalten wird. Aber wir sollten abwägen: jede noch so kleine Verbesserung ist eine Verbesserung für die Tiere.“ Heute nach dem Lesen des Interviews mit dem Lidl-Manager bin ich einfach nur traurig. Traurig über die 1094 Tiere, die jeder von uns in seinem Leben isst, und die wir deutsche Konsumenten offenbar weiter unter erbärmlichen Bedingungen lassen wollen.
Also Leute, bitte lasst mich nicht im Stich! Denkt beim nächsten Mal im Supermarkt daran, dass es an uns liegt, dass es den Tieren besser geht. Nicht am Willen der Bauern, der Politik oder des Handel. Es liegt am Willen der Verbraucher und an der Bereitschaft, dafür auch tiefer in die Tasche zu greifen.
Eure Yvonne
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